Der Kreditversicherer Atradius sieht bei den aktuellen EU-Verhandlungen hinsichtlich neuer Handelsabkommen großes Geschäftspotenzial für die produzierenden Industrien in Europa. Sollten die  Vereinbarungen mit Japan, den Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay), Mexiko, Singapur und Vietnam gemäß dem derzeitigen Stand in Kraft treten, würde das vor allem der hiesigen Automobilbranche, dem Maschinenbausektor sowie der Chemie- und Pharmaindustrie zusätzliche Absatzchancen eröffnen. Bauunternehmen und Anbieter von Konsumgütern könnten ebenfalls profitieren. Das geht aus der jüngsten Analyse des Economic Research Departments von Atradius hervor. Gleichzeitig weist der Kreditversicherer aber auch auf das zum Teil hohe Risiko von Zahlungsausfällen in mehreren Ländern hin, mit denen im Moment an neuen Handelsabkommen gearbeitet wird.

„Japan, die Mercosur-Staaten, Mexiko, Singapur und Vietnam bieten europäischen Exporteuren enorme Möglichkeiten für zusätzliches Geschäft. Gerade deutsche Anbieter mit ihren international anerkannten Produkten können vom Abbau von Handelsbarrieren mit diesen Nationen profitieren“, sagt Dr. Thomas Langen, Senior Regional Director Deutschland, Mittel- und Osteuropa von Atradius. „Das Erschließen neuer Märkte birgt aber auch erhebliche Risiken für Firmen, insbesondere wenn sie noch keine Erfahrungen mit dem Zahlungsverhalten vor Ort haben. Als weltweit zweitgrößter Kreditversicherer mit mehr als 90 Jahren Erfahrung unterstützen wir Unternehmen dabei, auch auf neuem Terrain sichere und profitable Geschäfte zu machen, indem wir ihre Abnehmer prüfen und Forderungen decken.“

Vielfältige Chancen für Europas Industrie

Bei den aktuellen Verhandlungen der EU geht es unter anderem um die Reduzierung von Zöllen sowie um die Einführung von neuen beziehungsweise weiteren, bilateral geltenden Standards und Regularien.

Die Einigung, die die EU im Dezember 2017 mit Japan erzielt hat und die im Sommer dieses Jahres ratifiziert werden soll, erleichtert zahlreichen produzierenden Industrien (Automobil, Chemie, Pharma, Maschinenbau und Konsumgüter), der Lebensmittel- und der Baubranche in Europa den Zugang zum Markt in Fernost. Japan gilt aktuell als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt mit einem Bruttoinlandsprodukt von umgerechnet 4,6 Billionen Euro und 127 Millionen Einwohnern.

Das so genannte Mercosur-Staaten-Abkommen würde vor allem europäischen Automobil-, Chemie- und Maschinenbauunternehmen Vorteile im internationalen Wettbewerb verschaffen. Die EU und die Mercosur-Länder beabsichtigen, die Verhandlungen bis Ende dieses Jahres abzuschließen. Bislang sind die südamerikanischen Märkte relativ abgeschlossen und weisen hohe Hürden für Exporteure auf. Mit einem Abkommen würde sich den hiesigen Firmen ein Markt mit einem Gesamtvolumen von derzeit 2,6 Billionen Euro weiter öffnen.

Im Jahr 2000 hat die EU eine Vereinbarung mit Mexiko getroffen, die hauptsächlich Geschäfte mit industriellen Gütern umfasst. Dieses Abkommen soll jetzt erweitert werden, unter anderem um Agrar- und Lebensmittelprodukte, Dienstleistungen und staatliche Aufträge. Darüber hinaus ist geplant, in die neuen Verträge weitere Arbeitsrecht- und Umweltstandards mit aufzunehmen. Für europäische Automobilfirmen wird es dadurch attraktiver, in Produktionsstätten in Mexiko zu investieren. Auch im mexikanischen Energiesektor würden sich für europäische Unternehmen Chancen ergeben, außerdem im Bausektor.

Im  Freihandelsabkommen mit Singapur, welches noch durch die einzelnen EU-Mitglieder ratifiziert werden muss, geht es um die Erweiterung der Geschäftsmöglichkeiten der Branchen Finanzen, Dienstleistungen, Transport und Telekommunikation auf beiden Seiten.

2016 hat die Europäische Union die Verhandlungen mit Vietnam über den weitreichenden Abbau von Handelsbarrieren erfolgreich abgeschlossen. In diesem Sommer soll der Vertragsentwurf dem EU-Rat und dem EU-Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden. Das Abkommen erleichtert vor allem der chemischen und pharmazeutischen Industrie, den Herstellern von Konsumgütern, Lebensmittelanbietern sowie Maschinenbaufirmen den Marktzugang in Vietnam. Derzeit importiert der südostasiatische Staat jährlich Waren im Wert von 9,6 Milliarden Euro aus der EU. 

Hohe Zahlungsrisiken in Argentinien, Brasilien und Vietnam

Angesichts der intensiven Ausarbeitung von Handelsabkommen verweist Atradius auf erhebliche Zahlungsrisiken in vielen Ländern, mit denen die EU derzeit verhandelt. Laut der Risikoprüfer des Kreditversicherers bestehen bei Geschäften mit Unternehmen in Argentinien große Unsicherheiten für Lieferanten und Dienstleister. Das Land befindet sich in einer unsicheren wirtschaftlichen Erholungsphase und könnte kurzfristig wieder in einem Abwärtstrend geraten, unter anderem aufgrund der anhaltend hohen Inflation. Zudem sind die Möglichkeiten von Präsident Mauricio Macri eingeschränkt, den aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen politisch gegenzusteuern, da er für Reformen die Zustimmung der Opposition benötigt. 

Auch bei Geschäften mit Abnehmern in Brasilien rät Atradius Exporteuren dazu, sich vorab ein genaues Bild von Zahlungsrisiken zu machen. Das Insolvenzvolumen am Zuckerhut ist zwar im Zuge der wirtschaftlichen Erholung seit 2015 gesunken, jedoch befindet es sich immer noch auf einem sehr hohen Level im Vergleich zu anderen Schwellenmärkten. Hinzu kommen die anhaltenden politischen Unsicherheiten infolge des Petrobas-Skandals. 

Vietnams Wirtschaft werden für die nächsten Jahre solide Wachstumsraten prognostiziert. Das Risiko, einen Zahlungsausfall zu erleiden, ist jedoch in der südostasiatischen Republik weiterhin beträchtlich. Exporteure sehen häufig Korruption. Ein großer Teil der Unternehmen des Landes ist in Staatsbesitz und finanziell nur schwach ausgestattet. Weiterhin leidet der Bankensektor unter einer hohen Last durch notleidende Kredite.

Hintergrund: Europäische Union forciert Freihandelsabkommen

„Die Europäische Union hat in den vergangenen Monaten die laufenden Verhandlungen von Handelsabkommen mit mehreren Partnerländern intensiviert, um die Abschlüsse zu beschleunigen“, sagt Dr. Thomas Langen. „Hintergrund sind zunehmende Unsicherheiten angesichts des protektionistischen Kurses der USA. Nichtsdestotrotz gehen wir davon aus, dass das weltweite Handelsvolumen weiterhin hoch bleibt und sich in unmittelbarerer Zukunft vielfältige Wachstumschancen für exportierende Unternehmen ergeben.“